RICOLETTAS WELT

Mittwoch, 26. August 2009

Finale furioso

Filed under: Supermoto — RICO @ 03:12 (3:12 AM)

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Finale furioso –

Belgium Supermoto Masters

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Wieder war endlose Bettelei notwendig, um Ricos Chef von der lebenswichtigen Notwendigkeit seiner Teilnahme am Saisonabschluss in Bilstain zu überzeugen.

Als Rico seinerzeit von der Austragung des Ü-40-Cups erfuhr, hatte er sich in den Kopf gesetzt, unbedingt teilnehmen zu wollen. Es kam aber alles etwas anders: Am Nürburgring konnte er wegen des gebrochenen Daumens nicht starten. Schaafheim war die erste Enttäuschung, als es um das in Aussicht gestellte Wohlwollen bei der Dienstplangestaltung ging – Rico musste arbeiten, obwohl er so gerne gestartet wäre. Nendingen war seine aufregende Premiere in einer offiziellen Rennveranstaltung. Für Lichtenberg hatte er sich extra Urlaub genommen und erfuhr darauf, dass das Rennen eine Woche vorverlegt werden würde – „… Dienstplanänderung? So kurzfristig nicht möglich!“

Rückblickend war also die Saison nicht unbedingt so verlaufen, wie er sich das gewünscht hatte. Aber die Belgium Supermoto Masters sollten nun wenigstens in dieser Hinsicht für einiges entschädigen. Der Cup durfte im Rahmenprogramm starten und hier einen würdigen Höhepunkt und gleichzeitig das Finale feiern.

Die Vorbereitungen liefen für Rico eher durchwachsen. Schon vor dem geplanten Training in Walldorf hatte er festgestellt, dass der linke Gabelholm Öl verliert. Obwohl die Gabel entspannt und der Simmerring gereinigt waren, konnte die Leckage nicht endgültig behoben werden. Rico musste mit einer angeschlagenen Yamaha nach Belgien reisen. Mit dem Ferienende in den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen war damit auch für prächtig gefüllte Autobahnen gesorgt. Dennoch gelang es nicht nur bei Tageslicht das Fahrerlager zu erreichen sondern dort auch einen gemütlichen Stellplatz für Pavillon, Zelte und die sonstigen Unverzichtbarkeiten zu finden. Im Gefolge waren auch wieder Nadine (aka Manic Mechanic) und Andy, die beste ehemalige Sozia von allen. Die gaben sich selbst den Namen „Ricos TeamTussis“, was später noch gravierende Folgen haben sollte. Auch Simon und Lisa wollten bei Papas Rennen nicht fehlen.

Während die TeamTussis sich mit einer gewissen Routine an den Aufbau der Lagerstatt begaben, schlenderte Rico durch das Fahrerlager. Durch eigenes Verschulden fiel er hier auch den ersten Hackfressen in die Hände und scheiterte kläglich mit seinen verzweifelten Fluchtversuchen.

Holger und Thomas schleppten ihn unverzüglich zur Strecke und behaupteten, bei der anstehenden Besichtigung wertvolle Tipps weitergeben zu können. Eingebettet in ein riesiges Areal liegt die Strecke idyllisch in einer Senke zwischen Kuhweiden. Dieser Teil Belgiens scheint vornehmlich die wirtschaftlichen Interessen des nationalen Milchkartells zu stützen.

Das Layout würde bei einem Teil des Supermotouniversums auf verständnislose Ablehnung stoßen und endlose Diskussionen nach sich ziehen. Hier in Belgien sei jedoch alles völlig normal, versicherte man Rico. Holger erklärte ihm geduldig verschiedene Schlüsselstellen, zu denen auch der das Ende einer lange ansteigenden Geraden durch ein Waldstück gehörte. Dieses Ende wurde durch ein nahezu senkrecht abfallendes, unendlich tiefes Nichts markiert …

… als Rico langsam wieder zu sich kam, er sich vom ersten Schock aber noch nicht wirklich erholt hatte, waren sie schon auf dem Rückweg ins Paddock, wo sich die üblichen Zeremonien anschlossen: Rohes Fleisch wurde durch Erhitzen über glühender Kohle in lukullische Genüsse verwandelt und gegorene Getränke löschten, gut gekühlt, den Durst.

Das aufgeregte, anhaltende „Ihaaahh Ihaaahh“ der Eselherde wurde mit einem beschwichtigenden „Mmmouuuh“ der Kühe beantwortet – in echtem HiFi-Stereopanorama von der nebenan gelegenen Wiese. Rico setzte den Gaskocher in Gang und begrüßte Thomas, der im Forum besser als „Zaundoc“ bekannt ist. Er war aus seiner Biergarniturtischzeltkonstruktion geklettert, die als kreatives Provisorium nächtlichen Unterschlupf gewähren sollte. Beim Einladen waren die Zeltstangen vergessen worden.

Für Thomas würde Bilstain der Abschluss seiner aktiven Karriere im Rennstreckensport sein – in mehrfacher Bedeutung … er trug schon tags zuvor ein Hemd mit der Rückenaufschrift: Mein letztes Rennen – 15.-16. August 2009 – Bilstain.

Rico brühte den Kaffee auf, genoss die frische Morgenluft und sah dabei zu, wie der feucht-kühle Morgen die Nacht vertrieb, der Tag langsam erwachte. Rico begleitete Thomas zur Strecke, wo er das Banner des Ü-40-Cups an einem Gitter befestigte.

Um zehn Uhr sollte mit dem freien Training das Wochenende beginnen. Genügend Zeit, um mit der Kamera noch ein wenig die Gegend zu erkunden und sich in aller Ruhe vorzubereiten.

Noch etwas zögerlich nahmen Rico und die Yamsel die ersten Meter der Strecke in Angriff. Trotz der allgegenwärtigen Staubschicht bot der Belag guten Grip. Bilstain bietet in dieser Variante drei Offroadsektionen, die durch kurze Asphaltpassagen verbunden sind. Der erste Teil besteht aus zwei langen Geraden, die parallel zueinander verlaufen. Gleich im Anschluss folgt die Überleitung in den zweiten Geländeteil. An der Außenseite bieten Betonteile, wie man sie als Fahrspurteiler in Autobahnbaustellen kennt, eine Möglichkeit zum Anlehnen. Das ist auch zwingend notwenig, weil jeder unkontrollierte Gasstoß mit einem wild auskeilendem Heck belohnt wird.

Ricos Anfahrt über den ersten Sprung war für seine Verhältnisse mutig – um nicht zu sagen leichtsinnig. Er hatte sich schlampig darauf vorbereitet und der fehlende Knieschluss wurde umgehend bestraft. Nach der nächsten Kante wartet ein romantisch gelegener Schlammsee auf Badegäste. Der folgende Anlieger führt dann nach rechts in die Bergaufpassage durch den Wald.

Zwischen den Bäumen hält sich der Staub etwas länger in der Luft und das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten macht die Orientierung auch nicht wirklich einfach. Unnötig zu erwähnen, dass der gesamte Offroad von Löchern in Rippen durchzogen ist und jede Unachtsamkeit mit einer unwillkürlichen Richtungsänderung verbunden ist. An einer beschaulichen Lichtung wartet dann rechts die Klippe mit dem oben bereits erwähnten Nichts. Diese Stelle fällt so steil ab, dass sie zu Fuß nicht passiert werden könnte – man muss also zwangsläufig auf die Unterstützung des begleitenden Kraftfahrzeugs hoffen. Selbst Ricos Navigator, der unerschrocken von seinem Stammplatz am Lenker das Geschehen aufmerksam beobachtete, sah beim ersten Durchfahren dieses Abschnitts etwas blaß aus …

Der optische Eindruck ist also erschreckend, zumal am Ende der Schanze ein Linksknick wartet, der innen mit einem Sprung genommen werden kann oder, für die etwas vorsichtigeren Fahrer, außen umfahren werden kann. Für Fehler ist an dieser Stelle kein Platz. Ganz außen dienen lediglich robuste Holzwände und quer gelegte Reifenstapel als Schutz vor der geduldig wartenden Baumgruppe.

Ein kurzes Waschbrett mit vier Höckern bildet den Abschluss des Offroads und schickt den Wemser mit einer kurzen Geraden und einer langer Links-Aufwärts-Kombination auf den höchstgelegenen Streckenteil.

Auch hier sind zwei parallel liegende Geraden mit einer engen Haarnadelkurve verbunden und nach einer Rechts-Links-Schikane führt der nächste Rechtsbogen wieder zurück zu Start und Ziel.

Rico und die Yamaha hatten die erste Runde überlebt und waren sogleich uneins über die weitere Taktik. Das Motorrad drängte ungestüm nach vorne, was in komplett entgegengesetztem Verhältnis zu Ricos zwischenzeitlich deutlich reduziertem Vorrat an Mut stand. Immerhin konnten beide sich langsam steigern und ab Runde vier etwa bemerkte Rico, dass die Yamaha immer mehr Freude an ihrem wedelnden Heck fand. Das lag aber leider mehr an dem eingefahrenen Nagel im Hinterreifen, der hinterhältig den Rest der Druckluft aus dem Rad sog. Für Rico bedeutete dies das viel zu frühe Ende des freien Trainings.

Oft hatte Rico sich über den freundschaftlichen Zusammenhalt im Fahrerlager gefreut. Auch er durfte davon schon profitieren und diesmal war es Achim, der von den Hackfressen liebevoll als „Mann ohne Hals“ verehrt wird, der spontan einen nagelneu verpackten Schlauch als Ersatz anbot. In polytechnischer Kooperation gelang es „Ü“, „Ziege“, und „Bürcher“, den heimtückischen Terrorakt des rostigen Nagels zu vereiteln und dem Reifen zu einer frisch belüfteten Lunge zu verhelfen.

Das Qualifying war für 14 Uhr angesetzt und würde somit bei mollig warmen Temperaturen stattfinden. Rico achtete darauf, dass beiden genügend Flüssigkeit zur Verfügung stehen würde und füllte den Tank der Yamaha.

Die TeamTussis hatten sich inzwischen auf den Weg zum nächsten Supermarkt begeben, um für Nachschub zu sorgen – an Getränken und Opfergaben für den Gott der Grillroste. Und so konnte Rico gemütlich im Klappsessel liegend vor sich hindösen und die zunehmende Hektik der Teilnehmer in den anderen Klassen beobachten. Die Quadfahrer schienen dabei noch mehr Nervosität zu verbreiten als Rico selbst.

Der schlenderte umher, schwatzte ein wenig und begegnete Balou, Harros kleinem Pferd, das immer von sich behauptet, ein Hund zu sein und, ob seiner Größe, für Angst und Schrecken sorgt oder sich einfach mit Streicheleinheiten oder Leckereien bestechen lässt.

Harro hatte den offiziellen Teil der Veranstaltung auf ein sehr entspanntes Maß herunterreduziert. Zusammen mit der nie um passende Antworten verlegenen Daniela hatte er für eine perfekte Organisation gesorgt. Auch Harry hatte endlich das Fahrerlager erreicht und berichtete vom desaströsen Kollaps seines Wemsmobils.

Für das Zeittraining wollte Rico seinen Rückstand aufholen und sich Runde für Runde steigern. Das gelang ihm, auch bis der erste Anlieger plötzlich und unerwartet einen kleinen Hüpfer abwärts machte und das Vorderrad der Yamaha kurzerhand über die obere Kante rutschte. Ein zufällig anwesender Fotograf sprach später von einer katzenhaften Eleganz, die im Tierreich nur durch die ganz großen, grauen Rüsseltiere noch übertroffen wird.

Die Yamsel hatte genug und verweigerte trotzig den Dienst. Rico schaffte es nicht mehr, den Motor in Gang zu bringen und gab auf. Spätestens jetzt wünschte er sich den kleinen roten Knopf, links unter dem Gasgriff wieder her. Tief enttäuscht schob er das Motorrad hinter die Absperrung und wartete, immer noch um Luft ringend, auf das Ende der Session. In solchen oder ähnlichen Situationen fasst man schnell leichtsinnige Entschlüsse, die auf die Intensivierung des Konditionstrainings ausgerichtet sind.

Später im Fahrerlager bemerkte er, dass sich beim Sturz ein Schleifer am Stiefel gelöst hatte und so spazierte er, begleitet von den Kindern, wieder runter zur Strecke. Einerseits, um nach dem Schleifer zu suchen, andererseits um den Fahrern der anderen Gruppen noch etwas zuzusehen.

Den Schleifer fand er schnell wieder und als er sich noch über das Glück freute, begegnetem ihm plötzlich die Monstermacher, Murkser und Rutzel. Der übliche Austausch von Verbalinjurien gipfelte in der Vorführung eines erschütternden Schauspiels, dass zuvor im Zeittraining des Ü-40-Cups zu beobachten war. Auf dem Display der Kamera war zu sehen, wie einer der Teilnehmer im ersten Anlieger zu weit nach oben kam und stürzte. Das beruhigende Versprechen, die lückenlose Dokumentation mit der üblichen Diskretion zu behandeln, verursachte bei Rico kurzfristig ein mulmiges Gefühl.

Mulmig blieb es auch später und je näher das erste Rennen rückte, um so stärker wurde das Gefühl. Keine Frage, Rico stand hier vor einer Aufgabe, die über die selbst gesteckten Grenzen einen Schritt hinaus ging. Aber kneifen gilt nicht und wo er nun schon mal hier war, wollte er auch den alten Haufen wie üblich vor sich hertreiben.

Seine Zeit im Qualifying hatte ausgereicht, um nicht als Letzter starten zu müssen. Mit Jörg Petry lieferte er sich ein erbittertes Fernduell um die „Laterne Rouge“. Am Ende der Einführungsrunde wurde ihm der Startplatz zugewiesen. Er sah den Mann mit der Flagge vor dem Feld zur Seite laufen, die Ampel sprang auf rot und wenige Augenblicke später brach die Meute los. Anders als in Nendingen war er im ersten Gang gestartet und musste früh vom Gas, um im ersten Linksknick nicht gleich die komplette Startreihe abzuräumen. Richtung Offroad und schon wurden gelbe Fahnen rausgehalten. Die ersten Bodenproben wurden genommen und Rico versuchte wieder, sich aus allen Rangeleien rauszuhalten. Auf der Anfahrt zur „Kante“ streckte sich das Feld und in der Kurve linksaufwärts kassierte er die 21.

In den folgenden Runden vergrößerte Rico seinen Vorsprung, achtete auf die Flaggen und versuchte, den Schnelleren fair Platz zu machen.

Nach einer kleinen Unendlichkeit und trotzdem doch merkwürdig früh wurde bei Start und Ziel die letzte Runde angezeigt. Rico hatte genügend Vorsprung und nach vorne würde er nun niemanden mehr gefährden können. So rollte er die letzte Runde kraftschonend zu Ende und es kam, wie es kommen musste: Ohne diese letzte Runde komplettieren zu können, wurde er von den Streckenmarshalls Richtung Parc fermé gewunken … und schaffte es damit nicht in die Wertung. Daniela war es, die ihm später erklärte, dass er nur noch ein einziges Mal über die Ziellinie hätte fahren müssen, um der Zeitmessanlage die Gelegenheit zu geben, sein Transpondersignal zu empfangen … wieder hatte Rico aus Unerfahrenheit ein besseres Resultat verschenkt.

Nur kurz ärgerte Rico sich über den vermeidbaren Fehler, hakte ihn schnell unter dem weiter stetig wachsenden Kapitel „Erfahrungen“ ab und der Abend wurde dann doch noch ganz nett. Er las die Kurzmitteilungen auf dem Mobiltelefon. Einige Mitglieder aus dem Alte-Säcke-Forum hatten ihm schon im Vorfeld damit gedroht, ihn am Sonntag kräftig zu unterstützen – jetzt machten sie ernst.

Mitten in der Nacht erwachte er durch einen laut in einer Mischung aus Französisch und Alkoholisch gehaltenen Disput, der sich mit den Belgiern im Allgemeinen und den Flamen und Wallonen im Besonderen beschäftigte. So viel war zu verstehen. Und noch während er darüber nachdachte, warum der Rest des Fahrerlagers sich nicht mit schlagkräftigen Argumenten an der Diskussion beteiligt, glitt er wieder hinüber in einen tiefen Schlaf, mit merkwürdigen Träumen aber unterhaltsamer Inszenierung.

Der gelungene Zaubertrank des gestrigen Morgens war wohl ein glücklicher Zufall gewesen. Das musste er beim ersten Probieren des neu gebrauten Morgenkaffees feststellen. Er beschloss ausnahmsweise ohne kraftspendene Heißgetränke den Tag zu beginnen und beobachtete beim Zähneputzen die Kühe, wie sie aufgeregt muhend in schnurgerader Reihe, ein unsichtbares Ziel ansteuernd, hektisch über ihre Wiese hetzten – die Esel blieben völlig gelassen.

Der zweite Lauf des Ü-40-Cups war im Zeitplan für 15 Uhr vorgesehen, ein WarmUp nicht geplant und so pendelte er immer wieder zwischen Strecke und Fahrerlager und freute sich über den nicht enden wollenden Andrang von Zuschauern. Auch eine Kostprobe der viel gerühmten belgischen Fritten wollte er sich nicht entgehen lassen. „Bonjour Madame! Je ne parle pas très bien français. Je … “. Die freundliche Dame an der Theke wusste wohl sofort, was Rico wollte und erklärte geduldig die notwendigen Schritte.

Simon, der Jüngste, und er saßen schweigend im Schatten und mampften die Pommes. Welche Sauce sie haben wollten, wurde er gefragt und dabei rechnete Rico mit einer Auswahl aus mindestens 51 verschiedenen Spezialitäten – es gäbe Ketchup oder Mayo meinte die Dame an der Fritteuse und forderte mimisch eine rasche Entscheidung.

Die Alten Säcke machen niemals leere Drohungen und nachdem Krissi und Marco schon am Samstag zu einem kurzen Abstecher im Fahrerlager gelandet waren, gesellten sich heute Jo (sie), Mike, René und Guido mit seinen beiden Jungs dazu. Während der erste Lauf der Masters absolviert wurde, Eddy Seel lieferte sich im Hyperraum einen packenden Zweikampf mit Gerald Delepine, umrundeten sie gemeinsam die Strecke und Rico beantwortete die zahllosen Fragen des angereisten Fanclubs.

Die Bande verteilte sich später um sie Strecke und Rico begab sich zurück ins Fahrerlager, um seiner langsam aufsteigenden Nervosität mit nutzloser Geschäftigkeit zu begegnen. Der Zaundoc hatte damit begonnen, seine Lederkombi mit einem Schriftzug zu präparieren. „Last Race“ stand da auf dem Rückenteil zu lesen.

Ein Sturz bei den Junioren am Vormittag hatte den Zeitplan durcheinander gebracht und der Start für den zweiten und abschließenden Lauf des Ü-40-Cups war für 16 Uhr neu angesetzt worden. Rico fühlte das wohlige Kribbeln im Bauch und freute sich auf das Rennen. Luftdruck und Tankfüllstand hatte er schon mehrfach kontrolliert und um wirklich ganz sicher zu sein, überprüfte er alles noch mal.

Es ging los. Er setzte den Helm auf, ließ die Yamaha vom Hubständer und wünschte Thomas ein gutes Rennen und dass er gesund zurückkommen möge. Der Motor sprang auf den ersten Kick an und grollte ungeduldig los. Auf dem Weg zum Vorstart winkte Rico den anderen Cupfahrern, die sich um Harros Lager versammelt hatten fröhlich zu und rollte den langen Weg nach unten zur Strecke.

„Trente“ rief die Chefin des Vorstarts Rico entgegen. Die Startreihenfolge wurde analog zum Ergebnis des ersten Laufes ermittelt. Er fand das Täfelchen mit der 30 und beobachtete, wie die Anderen nach und nach zu ihren Plätze kamen. Ein paar Albernheiten vertrieben die letzte Nervosität, Daniela informierte jeden darüber, dass direkt im Anschluss die Siegerehrung an der Strecke stattfinden sollte und schickte schließlich die Meute los. Auf der Einührungsrunde hatte er die letzte Gelegenheit, sich den besten Weg durch den inzwischen kräftig zerschossenen Offroad zu merken. Als er endlich seine Startposition erreicht hatte, dauerte es nur wenige Augenblicke: Wieder kreuzte der Mann mit der roten Flagge vor dem Feld, die Ampel sprang auf rot und einen Sekundenbruchteil danach brüllte der Rrroarrr die Zuschauer an.

Noch vor der ersten Kurve gelang es Rico, einige Plätze gut zu machen, die er allerdings eingangs des ersten Offroads wieder verlor. Er versuchte, früh aus der nächsten Haarnadel heraus zu beschleunigen und fluchte über den heftigen Rutscher am Hinterrad. Der kostete Zeit und so kam er als Letzter zum ersten Sprung. Heftig geschwenkte gelbe Flaggen kündigten es an: Vor dem Anlieger waren zwei Fahrer gestürzt. Rico erkannte die 74, den Zaundoc, der auf allen Vieren kriechend versuchte, sich von der Strecke in Sicherheit zu bringen. Das sieht übel aus, dachte er und nach dem Anlieger sah Rico noch einmal besorgt über seine Schulter nach hinten, sich aber dann an das erinnernd, was Thomas ihm kurz von dem Rennen gesagt hatte: „Fahr’ deinen Stiefel und kümmer’ dich nicht um den Rest.“

Er schnappte sich die 21 und schloss in der zweiten Runde, die übrigens auch seine Schnellste des Rennens war, zu Achim auf.

Der bremste in der Haarnadel spät, viel zu spät und Rico konnte leicht innen durchschlüpfen. In der Runde danach sah er aber, dass Achim an genau dieser Stelle ausgerollt und stehen geblieben war. Das bestaunenswerte Überholmanöver war also durch einen Defekt begünstigt gewesen.

Insgesamt kam ihm die Strecke heute irgendwie leichter vor. Er hatte sich einige Punkte gemerkt und versuchte nun immer wieder ein wenig später zu bremsen und früher ans Gas zu kommen. Bei Start und Ziel wurde irgendwann die Tafel, die die letzte Runde ankündigt, rausgehalten – endlich. Viel länger hätte es auch nicht dauern dürfen, denn nach und nach kam Rico das Gefühl für seine Hände und Arme abhanden.

Als die Zielflagge geschwenkt wurde, war er enttäuscht und erleichtert zu gleich. Abgesehen von seiner aufgebrauchten Kondition wäre er gerne weiter gefahren aber insgeheim war er froh, die Strecke überstanden und seinen inneren Schweinehund niedergekämpft zu haben, ohne dabei größere Blessuren zu erleiden. Auch die Gabel der Yamaha hatte gehalten und insgesamt konnten beide sehr zufrieden sein – Rico und die Yamsel, nicht der Schweinehund.

Im Parc fermé stand er neben Harry. „Was ist mit Thomas?“, fragte Rico. Andy hatte ihm zwei Wasserflaschen über die Absperrung gereicht, von denen er eine an Harry weitergab. Der konnte auch nur von dem Sturz berichten und wusste keine Einzelheiten. Die Euphorie, die er noch in Nendingen erlebt hatte, blieb diesmal aus.

Zurück im Fahrerlager fand er nur Sabrina und Dominik, die Kinder, die Manuela und den Zaundoc begleiteten. Das kleine Mädchen machte ein so trauriges Gesicht, dass Rico tröstend seinen Arm um sie legte, noch bevor er sich aus der verschwitzten Lederpelle schälen konnte. Er wollte sich bei Harro und Daniela nach dem neusten Stand erkundigen und versprach der Kleinen, sofort zurückzukommen, sobald er Neuigkeiten hätte.

Der belgische Rettungswagen kam langsam die Wiese im Fahrerlager heraufgerollt und Rico entdeckte Manuela auf dem Beifahrersitz. Ihr sorgenvoller Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Gemeinsam mit den anderen liefen sie hinter dem RTW zum Standplatz. Manuela berichtete vom Sturz und das Thomas am Knie verletzt sei, möglicherweise das Wadenbein gebrochen wäre. Er solle zur genaueren Diagnostik in die Klinik nach Aachen.

Rico erklärte, dass sie sich um das Motorrad und den Wemstransporter (… eine kurze Anmerkung sei an dieser Stelle gestattet: Warum schlägt eigentlich das Rechtschreibprogramm an dieser Stelle immer nur den Begriff „Viehtransporter“ vor ??) kümmern würden und die Kinder solange bei Andy bleiben könnten. Etwas erleichtert willigte sie ein und machte sich mit Thomas, der inzwischen an den selbst mitgebrachten Gehstützen von der Trage zu Manuelas Auto gehumpelt war, auf den Weg ins Krankenhaus.

Während bei Harro eine kleine Siegerehrung improvisiert wurde, packten die TeamTussis, tatkräftig von den Alten Säcken unterstützt, das Equipment zusammen und verteilten es auf die jeweiligen Fahrzeuge. Inzwischen hatte Rico neben seinem eigenen Pokal stellvertretend für den Gesamtersten die Siegerpokale entgegen nehmen dürfen und alberte mit den Anderen noch kurz rum, bevor er sich verabschiedete.

Mit Krissi und Marco, die beide gemeinsam in Aachen wohnen, war schon vorher vereinbart, dass sie den Abend dort verbringen wollten. So fuhren sie in einem merkwürdigen Konvoi Richtung Deutschland. Die Motorräder der beiden AS vorneweg, dann Andy, die den schwarzen „Zaundoktor“-Transporter lenkte und Rico, der mit den Kindern im Familiendiesel dem Grüppchen folgte.

Als gerade die Reihenfolge für die ersehnte Dusche ausgefochten war, klingelte Ricos Telefon. Manuela gab einen ersten Zwischenbericht aus dem Krankenhaus und teilte mit, wo sie zu finden seien. Das Aachener Klinikum – architektonisch eine bedauernswerte Mischung aus Heizkraftwerk, Raumschiff und U-Boot – war Krissi durch ihr Medizinstudium bestens bekannt und so fanden sie ohne Umwege zur Notaufnahme. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, kann jeder nachvollziehen, der dort erst nach Tagen orientierungslosen Suchens endlich, fast verzweifelnd sein Ziel gefunden hatte.

Thomas lag im Bett, Manuela stand daneben und die Kinder fielen jubelnd über beide her. Das Knie war inzwischen auf einen respektablen Umfang angeschwollen. Dem aktuellen Kurzbulletin schloss sich eine lange Wartezeit an.

Thomas schilderte den Unfall später so: „Ich bin links versetzt hinter dem Fahrer vor mir über den ersten Table und dabei habe ich schon mächtig aufgeholt. Am zweiten Table wollte ich ihn dann überholen. Als wir über die Kante sprangen, sah ich rechts einen Fahrer vor dem Anlieger liegen. Mein Vordermann sprang nicht so weit und zog nach der Landung nach links. Ich bin gelandet und in ihn rein … dabei ist meine Maschine nach links umgeklappt und ich bin über mein linkes getrecktes Bein mit einer Linksdrehung abgestiegen. Dabei hat es zwei mal in meinem Knie kräftig gezupft.“

Der Orthopäde kam, der Befund des Radiologen wurde erneut besprochen und nachdem der Unfallchirurg die stationäre Aufnahme in der Klinik durchgesetzt hatte, konnte auch Manuelas ursprünglicher Plan, noch in der Nacht nach Hause fahren zu wollen, endgültig verworfen werden. Sie würden alle gemeinsam in der Studentenbude von Krissi und Marco Platz finden und eine warme Mahlzeit sollte es spät in der Nacht auch geben.

Der Morgen begann mit der logistischen Konzeption. Manuela wurde mit den Kindern zum Klinikum gebracht und nach einem kurzen Krankenbesuch steuerte sie im eigenen Auto die hessische Heimat an. Das Rico im klimatisierten Familiendiesel nur auf Anhänger und Kinder zu achten hatte, kann getrost vernachlässigt werden. Andy als Pilot und Nadine als Navigator – die TeamTussis brachten den schwarzen Transit, vollgepackt und ohne Servolenkung, zurück in den kleinen Ort im Taunus. Eine absolut respektable Leistung, denn das untermotorisierte Gefährt entbehrt nicht nur den geringsten Luxus. Mit dem kompletten Equipment beladen, brachte der Transporter nun das gefühlte Vielfache seines Eigengewichts auf die Waage. Die „Zigarette danach“ sollte diesmal ausnahmsweise genehmigt sein.

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Im Video sind Ausschnitte aus den Rennen der Belgium Supermoto-Masters zu sehen:

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Kapitelübersicht

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